Laden ohne Kabel
#nutzermeinung
Aussteigen, Ladekabel rausholen, einstecken – die Ladung startet. Werde ich gefragt, wie lange Laden eines E-Autos dauert, antworte ich immer: "15 Sekunden." So lange dauert der Anschluss per Kabel mit einer Wallbox oder Ladesäule. Mehr habe ich mit dem Ladevorgang nicht zu tun. Kann die Zeit anders nutzen. Doch zukünftig wird es noch schneller und einfacher gehen: induktives Laden heißen die beiden Zauberwörter.
Man fährt mit dem E-Auto über die Ladefläche. Die kann in einen Parkplatz eingelassen sein. Seht das E-Auto, aktiviert man im Menü den Ladevorgang und schon fließt Energie in die Batterie im Boden. Wenn man nur kurz parkt, um jemanden abzuholen oder etwas einzukaufen, ist das sehr praktisch. Das gilt auch für die kalte Jahreszeit, denn man legt am Ende ein nasses und verdrecktes Ladekabel in den Kofferraum.
Induktives Laden ist nichts Neues. Nach dem Prinzip funktionieren Induktionsherde, elektrische Zahnbürsten und moderne Smartphones. Sie alle laden durch "Auflegen". Dabei erzeugt eine Senderspule ein elektromagnetisches Feld. Die Empfängerspule nimmt die Signale auf und wandelt sie in elektrische Energie um. Das ist bei Zahnbürsten und Smartphones einfacher als bei E-Autos, weil es hier um geringere Ladeleistungen geht. Außerdem liegen die Geräte direkt als auch perfekt ausgerichtet auf dem Ladegerät. Beim Auto bleiben einige Zentimeter Luft. Dieses Hindernis muss die elektrische Energie überwinden. Das ist mit Ladeverlusten als auch einem Magnetfeld verbunden. Während des Ladevorgangs darf sich kein Gegenstand aber auch kein Lebewesen zwischen Sender und Empfänger befinden. Auch Menschen, die in der Nähe stehen, dürfen durch das Magnetfeld nicht beeinträchtigt werden. Für die elektromagnetische Verträglichkeit gelten strenge gesetzliche Vorgaben.
Taxen laden während der Wartezeit in Göteborg
Praxistests mit Taxen
Diese Herausforderungen haben die Ingenieure im Griff und induktives Laden beim E-Auto befindet sich bereits im Praxistest. Es gibt zwei Beispiele mit elektrischen Taxen im schwedischen Göteborg sowie in Köln. Für diese Fahrzeuge ist die kabellose Anwendung perfekt. Eine Taxe wartet oft nur wenige Minuten auf den nächsten Einsatz. Hier Stecker rein, Stecker raus, wäre viel zu aufwendig. In Göteborg sieht der Fahrer auf seinem Display im Volvo die Ladematte im Boden aus der Vogelperspektive. Farbliche Markierungen zeigt ihm, wann der Wagen perfekt ausgerichtet ist. Geladen wird mit bis zu 40 Kilowatt Gleichstrom. Immerhin fast das Vierfache der klassischen Wallbox-Leistung. In Köln arbeitet man mit der doppelten Leistung, also bis zu 22 Kilowatt. Zum Einsatz kommen Taxen des chinesischen Herstellers LEVC, die aussehen wir die typischen London-Cabs. Insgesamt sechs Ladeplatten mit einer Fläche von jeweils 1,5 Quadratmetern wurden dazu in dem Taxi-Haltestreifen am Hauptbahnhof verbaut.
"Induktives Snack-Laden bietet sich für Taxen, Lieferfahrzeuge und Sharing-Fahrzeuge an", sagt Richard van den Dool. Er ist CEO von IPT Technology in Baden-Württemberg. Jedes Fahrzeug, das nur kurz steht, sollte seiner Meinung nach zukünftig induktiv geladen werden. Sein Unternehmen hat die Technik bereits in der dritten Generation auf dem Markt. Bis zu 100 kW Ladeleistung über 25 cm Distanz sind möglich. IPT hat damit die Buslinie 69 in London als auch eine Passagierfähre im norwegischen Fredrikstad ausgerüstet.
Es fehlt der Ladestandard
Die Technik funktioniert, aber es fehlt der Industriestandard. Jeder Fahrzeughersteller nutzt eine andere Technik für die Induktion. Dabei arbeiten Forscher und Ingenieure bereits seit 2016 in Deutschland am Projekt STILLE. Das steht für Standardisierung induktiver Ladesysteme über Leistungsklassen. In den USA versucht das Unternehmen Witricity sein Drive System als Standard zu etablieren. Das Rennen ist also noch offen. Vermutlich wird man induktive Ladelösungen zunächst in Modellen der Auto-Oberklasse sehen. Das sind auch die Fahrzeuge, deren Assistenzsysteme am weitesten entwickelt sind. Denkt man an autonom fahrende Autos, stellt sich die Frage: Wer steckt den Stecker ein? Das gilt natürlich vor allem für Sharing- und Lieferfahrzeuge. Sind die autonom unterwegs, müssen sie auch autonom laden können. Hinzu kommt ein Vorteil für das Stadtbild. Öffentliche Ladesäulen am Straßenrand sind kein schöner Anblick. Sie müssen über zusätzliche Poller vor Parkremplern geschützt werden. Verschwindet die gesamte Ladetechnik im Boden, gewinnt die Stadt den Platz zurück. Außerdem ist es für die Stadtreinigung einfacher, wenn nichts im Weg steht.
Auf der Arena del Futuro in Italien laden ein Fiat 500 und ein Bus während der Fahrt
Induktiv Laden während der Fahrt
Auch wenn induktives Laden parkender E-Autos noch Zukunftsmusik ist, arbeiten Industrie und Wissenschaft bereits am kabellosen Laden während der Fahrt. Stellantis, Europas zweitgrößter Autokonzern nach Volkswagen, betreibt in Italien die Arena del Futuro. Auf dem 1.050 Meter langen Rundkurs dreht ein elektrischer Fiat 500 seine Runden. Tests zeigen, dass er mit Autobahngeschwindigkeit unterwegs sein kann, ohne Energie aus der Batterie zu verbrauchen. Der Strom kommt aus der Fahrbahn bzw. Spulen unter der Fahrbahndecke. Die Idee ist, eine komplette Fahrspur zur Ladefläche zu machen. Das entsprechende Projekt in Deutschland heißt Induct Infra. Es wird von der RWTH Aachen sowie weiteren Partnern und durch Gelder des Verkehrsministeriums vorangetrieben. "Ein Lkw könnte damit auf der Autobahn mit bis 130 kW Ladeleistung während der Fahrt geladen werden", sagt Dr. Markus Oeser, Dekan der Fakultät für Bauingenieurwesen an der RWTH Aachen. Die Idee ist Ladespulen unterhalb der Fahrbahndecke auf der Autobahn zu montieren. Ein Leitsystem hält die Fahrzeuge in der Spur und sorgt für steten Energiefluß. Kein Kabel, keine Ladepause. Windräder oder Solarzellen am Rande der Autobahn versorgen die Spulen mit grünem Strom. Das hört sich einfach zu gut an. Die Hürde: Es gibt 13.000 km Autobahnen in Deutschland. Wird je Fahrtrichtung eine Spur mit Ladespulen bestückt, sind es 26.000 km, die mit Ladetechnik ausgerüstet werden müssten. Falls dann auf der Ladespur Bauarbeiten sind, bleibt einem nichts anderes übrig, als rauszufahren und an der klassischen Ladesäule mit Kabel zu laden.