Blackout: Um 18 Uhr geht das Licht aus, weil alle laden
#nutzermeinung
So oder so ähnlich geistert eines am häufigsten geteilten Vorurteile durch Medien und soziale Netzwerke. Mit steigendem Anteil von Elektrofahrzeugen und dem allgemein wachsenden Strombedarf steigt auch die Belastung der Stromnetze. Die sind angeblich dafür gar nicht ausgelegt – ein Blackout, also der Zusammenbruch der Stromversorgung, sei unvermeidbar. Anhand eines konkreten Beispiels wollen wir diesem Mythos auf den Grund gehen.
Was sie in diesem Beitrag erwartet:
Realer und gefühlter Energiebedarf
Netzbelastung durch Elektrofahrzeuge
Vorortgemeinde Berlins zeigt, dass es geht
Elektrofahrzeuge benötigen zum Fahren Strom
Hinter diesem simplen Satz verbirgt sich bei vielen eine diffuse Vorstellung und auch mir wurde in der Vergangenheit noch das Nachladen an einer Steckdose im Ferienhaus an der Ostsee untersagt. Zu groß war die Sorge vor einer hohen Stromrechnung und einem Zusammenbruch des Stromnetzes. Um für Aufklärung zu sorgen, betrachten wir zwei Zahlen.
Da ist einmal der Stromverbrauch eines Elektroautos, dieser beträgt im Durchschnitt 17 Kilowattstunden pro 100 km. Umgerechnet werden täglich 6 bis 7 kWh benötigt. Das typische Einfamilienhaus verbraucht pro Tag mehr Strom! So viel ist das also gar nicht. Und: Strom können wir in unendlicher Menge erzeugen, gerade die erneuerbaren Energiequellen liefern uns die Energie ja frei Haus, die wir nur „ernten“ müssen, z.B. mit einer Solarstromanlage auf dem Hausdach oder am Balkon.
Fazit: Strom gibt es genug und wir können ihn sogar zum großen Teil sogar selber erzeugen.
Ladeleistung und Anzahl der Autos entscheiden
Spannender ist die zweite Zahl, sie beschreibt die Ladeleistung, d.h. wie schnell ein Elektroauto geladen wird. Hier gilt: Je höher die Ladeleistung, desto stärker ist die Belastung des Stromnetzes. Beim Laden an Steckdosen wird mit 2,3, an einer Wallbox mit 3,7 bis 11 Kilowatt geladen, hier ist die Belastung des Stromnetzes also höher. Zum Vergleich: Ein elektrischer Durchlauferhitzer belastet das Stromnetz mit bis zu 22 kW. In vielen Mehrfamilienhäusern hängen gleich Dutzende davon in Badezimmern …
Fazit: Beim Laden eines Elektroautos werden die Stromnetze belastet, aber droht hier der Blackout?
Ja und nein. Denn ob die Belastung des Stromnetzes durch das Laden von Elektrofahrzeugen tatsächlich zum Problem wird, hängt von verschiedenen Parametern ab.
Wie hoch ist die tatsächliche Ladeleistung?
Nur weil ein Elektroauto nach Prospekt mit einer Ladeleistung von 11 Kilowatt geladen werden kann, heißt das noch lange nicht, dass diese Ladeleistung tatsächlich abgerufen wird. Die tatsächliche Ladeleistung ist abhängig u.a. von der Temperatur und dem Ladestand der Batterie. Real liegt die Ladeleistung also meist deutlich niedriger.Wie viele Elektroautos laden gleichzeitig?
Fast jeder von uns hat zuhause sicherlich einen Haarfön. Was würde passieren, wenn wir alle morgens um 6 Uhr uns die Haare damit föhnen? Richtig, es käme zum Blackout, denn für diese plötzliche und vor allem gleichzeitige Belastung ist das Stromnetz tatsächlich nicht ausgelegt.
Vielmehr geht man davon aus, dass eben nicht alle Stromkunden sich gleichzeitig die Haare föhnen, Kaffee kochen oder den Herd einschalten. Und so ist es auch beim Elektroauto. Es ist eben ein Märchen, dass alle ihr Elektroauto gleichzeitig laden. Vielmehr haben alle bisherigen Modellprojekte gezeigt: Elektroautos, auch viele und in räumlicher Nähe, z.B. in einer Tiefgarage, werden nicht gleichzeitig geladen.
Und wenn, benötigen nicht alle gleichzeitig die volle Ladeleistung. Manche laden tagsüber und nutzen selbsterzeugten Strom von der eigenen Solaranlage oder beziehen zusätzlich Strom aus dem eigenen Stromspeicher, andere laden nachmittags, andere nachts (z.B. mit dem neuen E.ON Stromtarif SmartStrom Öko, der nachts besonders günstige Tarife anbietet). Wieder andere laden vormittags beim Arbeitgeber oder am Wochenende. Manche laden jeden Tag ein wenig, andere alle paar Tage den Akku voll und mehr und mehr Elektroautos werden gezielt an Schnellladestationen geladen, die nicht an der normalen Verteilebene des Stromnetzes angeschlossen sind. Dass also alle Elektroautos abends um 18 Uhr geladen werden, ist ein Mythos, der nichts mit der Realität zu tun hat. Und dementsprechend werden auch die Stromnetze lange nicht so stark belastet, dass es zum Blackout kommen kann. Zudem kontrollieren die Netzbetreiber die Belastung der Stromnetze und bauen diese aus, wenn nötig.
So sieht es in der Praxis aus
In unserer Berliner Vorortgemeinde wächst die Anzahl an Elektrofahrzeugen enorm. Man braucht nur vor die Tür zu gehen und nach wenigen Minuten summt das erste davon an einem vorbei. Ich habe einmal die ungefähren Standorte kartiert, natürlich ohne die genauen Adressen, Namen oder sonst welche Daten aufzunehmen. Dabei zeigt sich Erstaunliches.
Die Abbildung zeigt, wie stark sich schon heute die mehr als 70 Elektroautos drängen. Dies ist kein Modellprojekt mehr, dies ist Realität, heute, Mitten im Mai 2021. Alleine in meiner Wohnstraße zehn Stück.
Was viele nun sicher noch mehr erstaunen wird ist, dass es bislang zu keinerlei Blackouts gekommen ist – obwohl ja alle diese Elektroautos auch geladen werden. Aber eben niemals gleichzeitig, eben nicht alle werktags um 18 Uhr, sondern verteilt auf den einzelnen Tag und sieben Tage einer Woche. Das sind 168 Stunden, von denen jedes Auto am Tag gerade mal zwei bis drei Stunden lädt. Einige davon sicher schneller, andere, so wie meins, vor allem tagsüber und mit überschüssiger Energie von der Solaranlage, also so gut wie ohne jede Netzbelastung, sozusagen mit Hausmacherstrom. So verteilt sich die Belastung auf die Netzabschnitte so sehr, dass es zu keinem Stromausfall kommen wird.
Fazit: Im Rahmen der Energiewende steigt der Strombedarf, sowohl in Menge als auch in Leistung. Diese Veränderungen erfolgen aber räumlich verteilt, in zeitlicher Abfolge und unter laufender Kontrolle der Netzbetreiber. Und so, wie neue Wohnhäuser, ja ganze neue Wohnviertel problemlos angeschlossen und versorgt werden können, so gelingt dies auch mit dem Anschluss und der Versorgung von tausenden und zehntausenden von Ladestationen. Vor einem Blackout braucht sich also niemand zu fürchten.